prigophon, Festival 'Maulhelden' (Berlin) 25.1.2003
Prigophon
Bei dieser Kooperation zwischen dem Moskauer "Soundpoeten" Dmitri Prigov und dem Wiener Duo "onophon" stehen Sprache und Stimme im Mittelpunkt. Schwer zu sagen, ob es sich dabei um eine Lesung, ein Konzert oder eine Performance handelt: Es wird gesprochen, gedichtet, intoniert, gesungen, georgelt, geröchelt, gegrollt. Wörter zerschellen, werden zerhackt, verdoppelt, wiederholt, verknotet und zerfetzt. Ein kontrollierter und wohldosierter Sprachrausch, vorgetragen von drei Kehlkopfintellektuellen.
Mit freundlicher Unterstützung des Österreichischen Kulturforums


prigophon, Zürcher Theater Spektakel, 30.8.2002
Was Werner Nowacek und Rainer Deutner, die beiden Sprachspieler und Sprechartisten von onophon, in ihrem
A cappella-Vortrag mit Sprache anstellen, ist ein einzigartiges klangsinnliches Hörerlebnis. Im Club treten die beiden Dadaisten des 21. Jahrhunderts gemeinsam mit dem russischen Schauspieler, Dichter und Installationskünstler Dmitri Prigov auf, der zu den Mitbegründern der Moskauer Konzeptualisten zählt.


prigophon, Gare du Nord (Basel), 18.6.2002
Basler Zeitung, 20.6.2002
Dmitri Prigow und Onophon in der 'Gare du Nord'
Kehlkopf-Intellekt
     Literaturhaus und Stiftung Laurenz-Haus luden zum ersten Mal in die 'Gare du Nord' ein: den Moskauer 'Soundpoeten' Dmitri Prigow und das Wiener Duo 'Onophon'. In einer rund einstündigen Darbietung, für die Birgit Kempker und der Stimmkünstler Christian Zehnder ('Stimmhom') rahmende Akzente setzten, standen Sprache und Stimme im Mittelpunkt.
     Körper, von der Lust am Sprechakt besessen, in Stimmbänder geknotete Sprache; es ist unnötig, hier zu entscheiden, obs eine Lesung, ein Konzert oder eine 'Performance' war. Es war ein hoch kontrollierter und dosierter Sprachrausch. Prigow, für ein Jahr bei der Laurenz-Stiftung zu Gast und seit kurzem Pasternak-Preisträger, intonierte nicht nur eigene Texte in Russisch, sondern orgelte, röchelte und sang auch zu den Textschlaufen von 'Onophon'.
     Wie Sprache an der Weltoberfläche kratzt, ist ein altes Thema. Ironisch lässt Prigow jedoch das eigene Ordnungssystem, das etwa Nationalliteraturen oder Tiergattungen klassifiziert, an der absurden Kommastellenpräzision seiner Wertungskoeffizienten zerschellen. An anderer Stelle ein paar Zeilen Puschkin in buddhistischer Zeitdehnung - wie immer, wo sich Geistiges von der baren Welt trennen will, um den Preis, dass es körperlich über sie stolpert: Es folgt dasselbe als händeringender Klagegesang.
     Was der Sprachfluss am Grunde mitschleift, rollt und grollt also über Prigows Lippen. Was er an zufälligen Sprachfetzen vorbeiträgt, passiert das Mundwerk von Werner Nowacek und Rainer Deutner. Den Wortriffen, die sie aufziehen, genügt meist ein nahezu banaler Ausgangspunkt. Das kann die simple Kippbewegung der beiden Worte 'Strassen Bahnhof' zu 'Strassenbahn Hof'sein.
     Umfasst das akustische Spektrum bei Prigow und vor allem bei Zehnder so ziemlich alles, was die Kehle hergibt, setzen 'Onophon' ganz auf die Sprache und ihre Modulation. Hinzu kommen höchstens verhaltene Körperbewegungen. Spricht der eine einen ruhigen Textbordun, lacht sich der andere über einen Schwanenhals in Ekstase, von der Wiener Färbung zum Hochdeutschen ständig wechselnd. Grundtechniken stellen dabei das Zerhacken, Verdoppeln und Wiederholen dar, etwa in den Variationen über einen 'moosbedeckten Waldboden', die selbst zum Boden für Prigows murmelnde Gesänge werden. Fingerschnippend unterbricht Christian Zehnder hier jeweils das Ensemble, um seine eigenen zungensüchtelnden und fingerflinken Kommentare einzufügen. Mit welcher Präzision diese Sprechhandlungen vollzogen werden, fällt erst auf, wenn zum perfekt koordinierten Unisono-Sprechen oder zu zeitlichen Shifttechniken übergegangen wird. Dass dies nicht zur antiseptischen Sprachchirurgie verkommt, wissen Prigow und 'Onophon' einzurichten: Was von der Struktur ins Melisma ausbricht oder Wortbedeutungen zum reinen Laut verglimmen lässt, gehört zu den Denkformen des Kehlkopfintellektuellen.
Andreas Fatton


prigophon, Gare du Nord (Basel), 18.6.2002
Basellandschaftliche Zeitung, 20.6.2002
AVANTGARDE. Der russische Schriftsteller Dmitri Prigov las auf Einladung des Literaturhauses Basel in der Gare du Nord.
Die ganze Welt in einer Silbe.
     BASEL. Boris Pasternak wurde von den Sowjet-Machthabern verboten und verfolgt wie alle weiteren Dichter der 'silbernen Epoche'. Wie wichtig, dass sich in Russland eine Pasternak-Gesellschaft gebildet und nun erstmals auch einen renommierten Literaturpreis vergeben hat: An Dmitri Prigov, den derzeitigen Stipendiaten der Basler Stiftung Laurenz-Haus. Die Auszeichnung der Pasternak-Gesellschaft gilt dem Vertreter eines Künstlertums, das zur herrschenden Kulturauffassung der Parteibürokratie in Widerspruch treten musste. Als Mitbegründer der Moskauer Schule der Konzeptionalisten in den Sechzigern fragmentierte Prigov sprachliche Äusserungen, reduzierte die Wörter aus dem Sprachfluss heraus auf kleinste mögliche Bedeutungsträger. Aus der Zerstückelung wächst diesen Trägern neue Bedeutung zu. Angesichts eines umfassend reglementierten, 'offiziellen' Zeichensystems wird eine solche Methode subversiv. Interessant aber, dass Prigovs 'imitierende wie irritierende Zeichensetzung' (Pressetext) auf einige der zahlreichen Besucher in der 'Gare du Nord' durchaus noch verstörend wirken konnte.
     Die in Basel lebende Autorin Birgit Kempker hat Prigov zusammen mit dem österreichischen Duo 'Onophon' in Graz auftreten sehen. Im Gare du Nord fand diese Begegnung ein zweites Mal statt. Mit Kempker und dem 'Stimmhorn'-Sänger Christian Zehnder als 'Moderatoren'. Zu beiden Seiten von Prigovs Tisch brachten Werner Nowacek und Rainer Deutner die Textfetzen zum Reden. Sie schoben sich Brocken zu, sponnen in bester jandlscher Tradition Wörter wie 'Eisweiden' weiter.
     Wenn Prigov - mit reichem, kunstvoll dosiertem Stimmumfang gesegnet - keine Lautgebilde freiliess, gab er etwa schrullige Bewertungstabellen zum Besten (Literaturen; Tiere; Möglichkeiten des sexuellen Kontakts). Kempker las die deutsche Übersetzung mit wenig Sinn für Dynamik. Umso schöner, wie die beiden Österreicher Prigov zunehmend in ihr Spiel einbezogen. Oder war es umgekehrt? So solierte Prigov 'über' die beiden Österreicher oder setzte Kommentierendes, Kontrastierendes hinzu. Einmal verwedelte Prigov einen Text ins 'Chinesische', trotzte einer vertikalen, christlich-liturgischen Tonleiter die tastende, fragende Horizontale einer gedehnten Silbe ab, die für sich allein eine ganze Welt schuf. Hier schien er im Kern seiner Kunst angekommen.
     Ein Gewinn bedeutete der Zuzug von Christian Zehnder. Zehnder 'sagte' alles allein mit Klängen und pantomimischen Gesten. Wie Zehnder zum Schluss mit Fingerschnippen den Kommentator und Möchtegern-Regisseur mimte und das ganze dabei ganz in einer leichtfüssig improvisierten Stimmung beliess - das brachte ihn noch selber zum Schmunzeln.
Urs Grether




p r i g o p h o n
       war die gemeinsame Performance mit Dmitri Prigov (Visualist,
       Objektkünstler, Performer, Autor), Dmitri Prigov ist am 16.7.2007
       gestorben.

Steirischer Herbst: Am Anfang war der Laut (Orpheum, Graz)
27.10.2001: Nacht der Improvisation - Dmitri Prigov & onophon
w i s s e n : steirischerbst

Literaturhaus Basel / Gare du Nord - Bahnhof für Neue Musik
18.6.2002: prigophon - Dmitri Prigov & onophon
w i s s e n : LiteraturhausBasel   BahnhofNeuerMusik
s c h a u e n : fotos
l e s e n : Basler Zeitung, 20.6.2002
  Basellandschaftliche Zeitung, 20.6.2002

Zürcher Theater Spektakel (Zürich) 30.8.2002:
prigophon - Dmitri Prigov & onophon
w i s s e n : theaterspektakel   s c h a u e n : fotos   l e s e n : zts

Radio WDR 3, Forum Literatur, 14.1.2003: Mantra der hohen
russischen Kultur. Soundpoet Dmitri Prigov im Konzert mit dem
Wiener Sprechkünstlerduo onophon. Von Bernd Kempker
w i s s e n : wdr

Festival 'Maulhelden' (Tempodrom, Berlin) 25.1.2003:
prigophon - Dmitri Prigov & onophon
w i s s e n : maulhelden   s c h a u e n : fotos   l e s e n : maulhelden

Radio DRS 2, Passage 2, 3.10.2003: Mantra der hohen
russischen Kultur. Soundpoet Dmitri Prigov im Konzert mit dem
Wiener Sprechkünstlerduo onophon. Von Bernd Kempker
w i s s e n : drs